Immer wieder heißt es, warum Menschen mit Gewalterfahrungen denn nicht über ihre Traumata reden.
Man hätte doch helfen können wenn man es nur gewusst hätte. Und es könne sich doch auch gesellschaftlich erst dann etwas ändern und bewegen, wenn wir sprechen und unser Schicksal offen legen. Awareness schaffen und so.
Lustigerweise ist es aber so, dass uns fast nie jemand zuhören mag, weshalb sich Leute wie ich in der Regel nur innerhalb ihre Traumabubble bewegen, wenn es darum geht zu reden und sich auszutauschen.
Und da lässt man uns dann auch einigermaßen gern, denn es ist bequem die Augen vor der Realität zu verschließen.
Und man weiß ja sowieso auch immer nicht was man sagen soll und dann erschüttert es einen ja auch, wenn man etwas genauer erfährt, was diesem Menschen so alles zustieß und naja, dass geht jetzt zu sehr an die innere Substanz und Oh, eine Katzenvideo!
Weiterhin kommt dazu, dass ÜberLebende, oft noch Kinder als sie schwer misshandelt wurden, irgendwie anders sind als man selbst. Zumindest gefühlt eigenartig.
Fremdartig aufgrund ihrer komplexen Erlebnisse in die man sich nur schwer einfühlen kann weil man über keine vergleichbaren Erfahrungen verfügt.
Oder auch der Umstand, dass Überlebende in der öffentlichen Meinung oft mit einem Makel behaftet sind.
Man fragt sich in einem unwillkürlichen Versuch der Emotionalen Distanz ob sie vielleicht sogar selbst Schuld an ihrem Schicksal sind. So ein kleines bisschen wenigstens? Zumindest als erwachsene Person hätte man doch gegensteuern können. Oder etwa nicht?
Sie hätten ja (hier bitte lange Reihe an Vorschlägen vorstellen) tun/machen können um das zu verhindern.
Oh, aber natürlich. Dass ein Freund im ersten Jahr lieb und klasse war lässt selbstverständlich darauf schließen dass er seine Partnerin später irgendwann verprügeln wird, wenn ihm etwas nicht passt.
Oder einsperren, sozial isolieren, verleumden, doxen, gaslighten und all das, was es sonst noch so gibt um Macht zu demonstrieren oder einen Menschen um jeden Preis nahe bei sich zu halten, ihn in einer Umklammerung zu halten, die keine Freiwilligkeit mehr kennt und akzeptiert.
Sie, als Otto Normalmensch ohne Trauma Erfahrung können sich nicht vorstellen, dass man ihm diese Toxizität am Anfang nicht anmerken konnte. Das er sie vielleicht auch einfach clever verborgen halten konnte.
Also wird die Partnerin für Schuld habend erklärt, weil sie es doch war, die sich auf den Falschen einließ. Nicht wahr?
So ist es doch viel leichter.
Das Bullshitbingo geht weiter.
Der nächste Vorwurf: man hätte ja gehen können. Ihn verlassen können.
Sie denken das, weil Sie sehr wahrscheinlich (hoffentlich) in einer vergleichsweise sicheren Umgebung leben und so handeln könnten.
Und vergessen dabei aber völlig das Menschen mit toxischen Partnern sich eben NICHT in einer sicheren Umgebung befinden, durch eben diesen Partner.
Vielleicht überwacht er seine Partnerin bereits. So, wie meiner es damals tat. Zum Glück war das vor langer Zeit. Heute bin ich safe und kann darüber schreiben.
Für Verständnis. Für Awareness in der Gesellschaft. Für all die Frauen, denen es heute geht wie mir damals.
Wenn dieser Partner also seine Partnerin bereits überwacht und kontrolliert, würde er jeden Versuch, sich von ihm zu lösen, vereiteln und dabei womöglich auch körperliche Gewalt anwenden.
Eine große Gefahr für die Frau in meinem Beispiel. Außerdem würde ihn das, was er durch ihre Überwachung erfährt sehr wahrscheinlich ziemlich wütend machen. Und wieder ist sie in großer Gefahr und womöglich seinen Wut Attacken ausgesetzt.
Ich habe das alles selbst erlebt, leider. Ich weiß, wovon ich rede.
Und wohin soll sie flüchten? Wer nähme sie auf? Wer gewährte ihr Zuflucht und was würde als Gegenleistung von ihr dafür erwartet?
Geld, Sex? Hat sie überhaupt eigenes Geld oder hat er sie längst auch da kaltgestellt und kontrolliert all ihre Einkünfte?
Und: Hat sie Kinder? Falls ja, wird sie schwerlich mit ihnen zusammen gehen können. Es fängt schon bei dem Wohin an.
Wo sollte sie mit den Kindern unterkommen. Wie sich um sie kümmern. Sie versorgen. Ohne, dass sie sich allein schon durch die Trennungssituation beginnen zu fürchten. Wie das alles erklären.
Wie sollte eine Frau in einer absoluten Ausnahmesituation auch das noch bewältigen können? Wo sie doch gerade selbst in Gefahr ist.
Vielleicht aber stellt diese Frau sich ja auch nur an oder übertreibt maßlos, flüstert womöglich gerade eine innere Stimme in ihrem Kopf, in einem weiteren Versuch sich emotional abzugrenzen.
Wird schon nicht so wild sein. Das wird schon. Sie muss sich halt nur etwas mehr Mühe geben oder so. Sich mal mehr anstrengen.
Puh, Glück gehabt. Schuld und Verantwortung der gebeutelten Frau zurück aufgeladen. Thema erledigt.
Und alte Traumata? Ach, die sind doch schon soundso lange her, da müsste und könnte sie doch jetzt wirklich langsam mal mit abschließen und nach Vorne blicken!
Sich einfach mal ein bisschen mehr anstrengen vielleicht.
Glückwunsch! Damit hätten Sie dann endgültig das Bullshitbingo der gesellschaftlichen Trauma Leugnung voll und eine aufblasbare Waschmaschine gewonnen.
Ich schreibe hier ganz bewusst HÄTTEN.
Denn, ich gehe davon aus, das Sie diesen Text als reflektierter Mensch einer aufgeklärten Gesellschaft mit Interesse gelesen haben (sonst wären Sie wahrscheinlich auch nicht bis hierhin gekommen) und das Sie unmöglich all diese Fehler gleichzeitig begangen haben können, wenn Sie sich einen Text wie diesen zu Gemüte führen.
Ich danke fürs Lesen! 🙏
Pat - im November 2022
es ist ein wenig ein aus Frust über mangelnden Support in SoMe entstandener Text, den ich nun, mit etwas Abstand und Überarbeitung dennoch posten möchte, weil einfach viel wahres darin steckt
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